Foto: Modell der Stadt Lingang
Die genannte Satellitenstadt Lingang wird etwa 60 Kilometer südöstlich des Shanghaier Stadtzentrums aus dem Boden gestampft. Sie ist eine von neun neuen Städten, die quasi auf dem Reissbrett geplant wurden, um das Zentrum zu entlasten. Aber ehrlich gesagt, bereits von einer Stadt zu sprechen wäre falsch, denn ein wichtiges Element fehlt noch: Die Bewohner. Auf den vierspurigen Strassen fahren keine Autos, auf den Gehsteigen gibt es keine Menschen, nur da und dort steht ein Polizist ganz verloren unter seinem Sonnenschirm. Im „Planning Exhibition Centre“ erfahren wir mehr über Lingang: Der Baubeschluss fiel 2003, fertig sein soll das Projekt im Jahr 2020, dann sollen 800 000 Bewohner in der Stadt leben. Die chinesische Regierung investierte 58 Milliarden Yuan in das Projekt, das entspricht knapp 10 Milliarden Schweizer Franken. Das Herz der von Deutschen Architekten entworfenen Stadt bildet ein kreisrunder, künstlich angelegter See von mehreren Kilometern Durchmesser. Das Ziel der Planer ist es, eine Stadt zu erschaffen, die in Harmonie mit Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Ökologie steht… In der Ausstellung wird mit Fotos dokumentiert, wie die vormaligen Bewohner des umgepflügten maritimen Landstrichs, Kleinbauern und Fischer, mit lächelnden Gesichtern in neue Wohnungen einziehen und ihre Jobs als „urban dwellers“ erfüllen, als stolze Wachmänner, fleissige Putzkolonnen oder geschickte Bauarbeiter. Nachdem wir an der Promenade noch ein wenig „Seeluft“ geschnuppert haben, sind wir endgültig beeindruckt und steigen unter angeregten Diskussionen über Sinn und Unsinn derartiger Projekte in unseren Bus ein.
Foto: Neuer Wohnungsbau in Lingang
Weiter geht es zum nächsten Higlight: Dem Yangshan Deep Water Harbor, einem gigantischen Containerhafen, seines Zeichens der einzige, der auf einer Insel liegt. Nur schon die Fahrt ist spektakulär: Sie geht über die längste Meeresbrücke der Welt, die Donghai Brücke. Diese führt unglaubliche 32 Kilometer über das offene Wasser. Wir fahren und fahren, nach hinten und nach vorne ist nur Brücke und Meer zu sehen. Die einen beeindruckte dies, die anderen schien es zu beruhigen; zum sonoren Schnurren des Busses gesellten sich zufriedene Schnarchgeräusche. Auf einmal taucht auf der Steuerbordseite eine Windenergiefarm aus dem Dunst auf. Die Mästen scheinen über dem Wasser zu schweben, während sich die riesigen Rotorflügel gemächlich im Kreis drehen. Die Mühlen verschwinden wieder aus der Sichtweite und wenig später ist Land in Sicht, vor uns erscheint Yangshan Island. Hier ist es mit der Ruhe aus. Gewaltige Lastkräne bücken sich über die Frachtschiffe, an Land stapeln sich die Container wie Legosteine in die Höhe und in die Breite. Um unseren Hunger zu stillen, dockten wir zum Mittagessen im Old Captains Club an. Das eher mehr als weniger dreckige Tischgedeck verdarb uns zwar nicht gerade den Appetit, aber wie es dann in der Captains Kombüse aussah, wollten wir uns doch nicht allzu genau vorstellen.
Foto: Die 32-Kilometer lange Donghai Brücke
Frisch gestärkt mit Fisch, Hühnerbeinen und Innereien wagten wir uns unter die brennende Mittagssonne, um die Containerinsel zu erkunden. Die Chinesische Regierung liess auf der Insel einen gesicherten Wanderweg erstellen, der sich über den Inselrücken windet und schliesslich am höchsten Punkt einen eindrücklichen Überblick über den Yangshan Deep Water Harbor bietet. Der Bau des Tiefseehafens in der Hangzhou Bucht begann 2005, auch hier musste ein Dorf weichen und Leute umgesiedelt werden. Der Hafen bedient die wachsenden Bedürfnisse des Grossraums Shanghai nach Frachtumschlag, sowohl für In-, als auch für Export. Die gesamte Anlage wird in mehreren Phasen gebaut und soll sich dereinst auf elf Kilometern Küste ausbreiten. Völlig verschwitzt und beeindruckt setzen wir uns nach dem Rundgang wieder in den Car.
Foto: Der Hafen von Yangshan
Foto: Container, die wie Lego-Steine aussehen
Auf der Rückfahrt über die Donghai Brücke folgte das zweite Inputreferat des Tages, Fabian informierte über die Bedeutung und Entwicklung erneuerbarer Energien in China, passend zur Windfarm auf dem Weg. Nach einer Einführung über die Energiesituation Chinas ging er auf die verschiedenen alternativen Energiequellen ein, im speziellen auf die Photovoltaik. China weist in diesem Bereich einen Weltmarktanteil von 33 Prozent auf und exportiert 90 Prozent seiner Produktion, spielt aber in der technologischen Weiterentwicklung noch nicht die erhoffte grosse Rolle. Auch andere erneuerbare Energien werden gefördert, 2009 stammten 16 Prozent der Energie in China aus Wasserkraft oder Windenergie, ein höherer Anteil als beispielsweise in der EU. Die Chinesische Regierung, so sehr man sie in anderen Bereichen kritisieren mag, setzt sich stark für die Nutzung erneuerbarer Energien ein. Dies im Wissen, dass China sich ohne alternative Energien mittel- bis langfristig nicht weiterentwickeln kann. Als Fäbu seinen Vortrag abschloss steckten wir aber schon wieder in der vorherrschenden Realität fest, nämlich im Stau der fossilen Energieverbrenner. Nachdem Mister Wang uns durch die abendliche Rushhour Shanghais geschlängelt hatte, setzte er uns müde, aber um viele bleibende Eindrücke, Informationen, aber auch Fragen reicher, vor der Unterkunft ab.
Lukas Rau
(Fotos: Heike Mayer)
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