Montag, 5. Juli 2010

Hangzhou -> Yiwu, Tag 9, 5. Juli 2010

Morgens um kurz nach acht Uhr sechs Taxis in Hangzhou zu ergattern, kann schnell gehen oder auch Zeit beanspruchen. Wir erlebten beides, kamen dann aber gesammelt am vereinbarten Treffpunkt an. Wieder mit einigen Erlebnissen reicher: Bei einem Taxi ging der Kofferraumdeckel nicht auf, so dass sich drei von uns mit ihrem gesamten Gepäck in der Fahrgastzelle arrangierten; bei einem anderen ging der Kofferraumdeckel nicht zu und die Fahrt wurde mit offenem bestritten.

Foto: Ankunft mit dem Taxi bei der Zhejiang University in Hangzhou

„Wann schliesse ich mein Studium ab?“, mag manch` Studierendem durch den Kopf gegangen sein, als wir die Graduierten sahen, die sich in feierlicher Montur stolz den Fotokameras präsentierten. In den Monaten Mai bis Juli beenden die Abschlussjahrgänge der Zhejiang University in Hangzhou ihr Studium.

Am Vormittag des 9. Exkursionstages besuchten wir den Campus der 113 Jahre alten Universität, die die höchste Patentrate in China aufweist. Dort trafen wir auf Prof. Chen Jin, Co-Chair des National Institute for Innovation Management (NIIM) und Direktor des Institute for Innovation and Regional Development, der uns weitere Hintergründe zur Innovationslandschaft in China lieferte. Zuvor hatten uns zwei seiner Mitarbeiterinnen über den Campus geführt und auch das mehrere Meter messende Denkmal von Mao Zedong gezeigt.

Foto: Wir sind Mao!

Herr Chen führte uns in die verschiedenen Innovationsformen ein, die derzeit in China vorhanden seien: Erstens „secondary innovations“ -- bestes Beispiel dafür nannte er Alibaba, das Ebay auf den ersten Blick kopiert, auf den zweiten sich auf Unternehmen mit seinem Angebot spezialisiert hat. Zweitens erläuterte uns Herr Chen die „technical integrations“, wobei er das Beispiel des High Speed Train vorstellte. Als dritte Innovation zeigte er der Gruppe „original innovations“, z.B. den USB-Stick, der originär aus China stammt.

Für Geographen war die von Herrn Cheng skizzierte Innovation Map Chinas interessant, wenngleich die oft mehrfach bei verschiedenen Städten genannten Branchen (z.B. Telekommunikation bei Beijing, Shanghai und Shenzhen oder Elektronik bei Qingdao (woher auch ein bekanntes Bier stammt) und auch bei Shenzhen) bei vielen den Eindruck hinterliessen, dass ein hoher Wettbewerb unter Chinas Regionen herrschen muss. Eine der innovativsten Provinzen ist Zhejiang, in der Yiwu liegt. Zhejiang zeichnet sich dadurch aus, dass ein hohes Mass an Entrepreneurship, viele private KMU und einige Cluster zu finden sind. Eine Region sollten wir auf dem Radar halten: das Yangtze-Delta, das seitens des NIMM als künftig innovativste chinesische Region eingeschätzt wird. Interessant war an dieser Stelle die Überlegung, dass durch die vielen städtebaulichen Massnahmen in China auch „construction innovations“ gefördert wuerden.

Heike Mayer entwarf parallel die Innovation Map der Schweiz, die der Gruppe Vertrautes zeigte und viel Neues für die anwesenden Chinesen beinhaltete.

Abgerundet wurde schliesslich der Vortrag des chinesischen Professors mit Worten zur „Science and Technology Policy“, bei der u.a. Drittmittel für Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen und Venture Capital genannt wurden. Wir fragten uns insgeheim, ob „verordnetes Upgrading“ funktionieren kann oder doch eher ein Bottom-Up-Ansatz notwendig wäre.

Mit angenehm gefüllten Bäuchen, da uns Herr Chen in ein der Universität nahe gelegenes Restaurant ausführte, stiegen wir wieder in Taxis und entkamen den immer wieder heftigen Regenschauern Richtung Bahnhof. Mit dem integrativ-innovativen High-Speed-Train fuhren wir zu unserer letzten Exkursionsstation, bevor es am Mittwoch wieder nach Shanghai zurück geht. Nach einer Stunde Zugfahrt und einer weiteren Taxifahrt kamen wir nachmittags im Hotel „Holiday Star“ in Yiwu an, und alle freuten sich über den bisher besten Standard in Zweier- und Einzelzimmern.

600.000 Einwohner zählt die „kleine Stadt“ Yiwu, mit dieser Bezeichnung hatte uns zumindest Herr Cheng verabschiedet. Yiwu ist ganz anders als das von uns bisher in China Gesehene. Es ist beim ersten Hinsehen keine schöne oder faszinierende Stadt. Sie wirkt normal, etwas schmutzig, etwas herunter gekommen. Auch die Menschen schauen mit unverhohlen neugierig auf die Gruppe der Langnasen.

Foto: Yiwu, eine sehr lebendige und unternehmerische Stadt

In seinem Inputreferat erläuterte uns Daniel dass in Yiwu und an vielen Orten in der Zhejiang Provinz die regionale Entwicklung nicht auf Direktinvestitionen (FDI) basiert, sondern sich viele endogen entstandene Cluster gebildet haben. Dieses Entwicklungsmuster steht im Kontrast zu den vorherigen besuchten Orten wie etwa Shanghai oder Suzhou. Morgen werden wir Yiwu genauer kennen lernen. Wir sind schon gespannt, mehr von diesem Ort zu erfahren, der sich durch einige Superlative auszeichnet: höchste Export- und Effizienzrate sowie höchster Ausländeranteil in China.

Yiwu: Geschäftiges Treiben vor einem typischen Geschäft in Yiwu

Der Abend klang bei einer wilden Mischung aus dem Hotpot im Restaurant „Little Sheep“ aus, was wieder alle Gefühle wie bei bisherigen kulinarischen Erfahrungen der kantonesischen Küche hervorrief, von Neugier über dezentes Ablehnen bei zu Ungewohntem bis freudiges Zulangen.

Foto: Chinesischer Hotpoot im „Little Sheep“-Restaurant

Anne Wolf

(Fotos: Heike Mayer)

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