Sonntag, 26. Juni 2016

Tag 7: Soziale Bewegungen

Am Morgen setzten wir die Fahrt im Bus Richtung Leipzig fort. In einer Feriengartensiedlung in Machern, versteckt unter einem Bungalow, betraten wir einen 1989 von der Öffentlichkeit entdeckten Stasi-Bunker. Hier hatte die Stasi 1968 eine Kommandozentrale für den regionalen Führungsstab errichtet.  Uns wurde bewusst, wie paranoid sich die Stasi zu Zeiten der DDR verhielt und welche Bedeutung der Machterhalt zu Zeiten der DDR hatte. Die Infrastruktur zielte darauf ab, die Kommunikation in allfälligen  Krisensituationen mit äusserst modernen Anlagen aufrechtzuerhalten.

Die absurden und perfiden Methoden der Stasi und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung wurden uns am Nachmittag, während der Stadtführung nachvollziehbar vor Augen geführt. Gerade der Ort in / um die Nikolaikirche in der Leipziger Innenstadt weist heutzutage anhand verschiedener Symbole darauf hin, wie wichtig dieser Ort für die Geschichte und die Identität der Bevölkerung Leipzigs bzw. des ehemaligen Ostens ist. Ein fassförmiger Brunnen, an dessen Rändern das Wasser überläuft, steht dafür, dass 1989 „das Fass voll war“ und eine soziale Bewegung entstehen konnte, die sich für „ein offenes Land mit freien Menschen“ einsetzte. Eine palmenförmige Säule, die den Trägern in der Nikolaikirche nachempfunden ist, steht für die Entstehungsgeschichte der sozialen Bewegung, die aus den montäglichen Versammlungen zum Friedensgebet in der Nikolaikirche hervorgingen und schliesslich nach aussen eine Mobilisierung der Massen gegen das Regime in Gang setzte, die sich auf andere Städte der DDR übertrug.

Interessant ist die Aussage, dass sich die AnhängerInnen rund um die rechtsextremen Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (in Leipzig: LEGIDA) an diesen Ort nie „trauen“ würden. Selbst wenn sich die DemonstrantInnen über „Montagsdemonstrationen“ auf die Geschichte berufen, ist die Zuschreibung des Ortes  mit Freiheit und Frieden bzw. Wiedervereinigung verbunden und steht für die Offenheit und die Kraft zur Veränderung, die sich nicht missbrauchen lässt.

Umgenutztes Tapetenwerk in Leipzig (Foto: Martin Warland)


Die Bedeutung der Identität der LeipzigerInnen wurde auch am letzten Standort im tapetenwerk sichtbar. Das tapetenwerk ist ein im Jahr 2007 aus einer ehemaligen Industriebrache hervorgegangenes ökonomisches Kultur- und Kreativzentrum. Die Abgrenzung zum für die Kultur- und Kreativwirtschaft bekannten Hot-Spot Berlin wurde in der Führung durch die Werkstätten von der Eigentümerin über das Selbstbewusstsein betont. „Es gibt nicht nur Berlin, Leipzig ist auch wer.“ Leipziger sind stolz auf sich und ihren Beitrag zur Geschichte der Wiedervereinigung und sie wollen ihre Stadt vorwärts bringen. Die Offenheit und die vorhandene Kraft zur Veränderung einzutreten, versuchen sie nun teilweise auch kommerziell zu nutzen und aus den Ruinen der Geschichte etwas Neues zu kreieren.

Fabienne Herzog und Andreas Gerber

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