Mittwoch, 22. Juni 2016

Tag 5: Raumbezogene Postkommunistische Transformationsprozesse

An diesem Tag verliessen wir pünktlich Berlin, standen jedoch leider eine Stunde im Verkehrsstau fest. Als wir dann das stillgelegte Braunkohletagebauwerk Lichterfeld F60 in der Region Lausitz erreichten, erhielten wir eine sportliche Führung über die Förderbrücke, die zu unserem Glück noch nicht gesprengt worden war und von einem Förderverein zu einer BesucherInnenattraktion umgewandelt wurde. Der Tagebau wurde 1988 errichtet, war jedoch nur 13 Monate in Betrieb, da nach der Wende ein postkommunistischer Transformationsprozess auf verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen eintraf. Einerseits litt die Braunkohleindustrie an Absatzschwierigkeiten, da Öl und Gas als neue Energieträger aus dem Westen auf den Markt kamen. Anderseits gab es in der Region Lausitz noch 4 andere Tagebauwerke, die immer noch in Betrieb sind. Die Transformation ist im Raum an dem übriggebliebenen 330ha grossem Restloch, das bereits mit Wasser geflutet wurde, der Infrastruktur und der Renaturierung  der umliegenden Flächen sichtbar.
Besichtigung des Braunkohletagebauwerks Lichterfeld (Foto: Martin Warland) 
Gestärkt durch ein typisch ostdeutsches ArbeiterInnen-Gericht, nämlich Kartoffelsuppe mit Bockwurst, fuhren wir weiter Richtung Osten mit einem kurzen Zwischenstopp bei dem aktiven Tagebau Welzow, wo wir die eindrückliche Landschaftsveränderung durch Braunkohleförderung hautnah beobachten konnten.
In Hoyerswerda angekommen, erhielten wir eine interessante geschichtliche und wirtschaftliche Stadtführung von einer Vertreterin des städtischen Raumplanungsamts. Diese Stadt ist geprägt von einer raschen Bevölkerungszunahme durch die Eröffnung eines Braunkohlenkraftwerks namens „Schwarze Pumpe“ im Jahre 1955. Alle Hoffnung wurde auf diesen Industriezweig gesetzt und man baute innert kürzester Zeit viele Wohneinheiten mit funktionalem Unterbau. Anfangs der 50-er Jahre betrug die Bevölkerung 18‘000 EinwohnerInnen, die bis um 1980 ums 4-fache wuchs. Dann begann jedoch ein Schrumpfungsprozess, der sich mit der Wende noch verstärkte. Heute zählt Hoyerswerda nur noch 34‘000 EinwohnerInnen.
Die Wende leitete verschiedene Transformationsprozesse ein und hatte Folgen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Einerseits verlor der Braunkohlensektor an Wichtigkeit, was einen Verlust von Arbeitsplätzen bedeutete. Andererseits wurde auf politischer Ebene die Nachbarstadt Cottbuss zum regionalen Zentrum erwählt, womit die Fördermittel in diese Stadt flossen. Zudem hielt die fehlende Identität mit der Arbeitsstadt viele auf der Suche nach Arbeit oder Heimat vor der Abwanderung nicht zurück. Angesichts der vielen leerstehenden Wohnungen, welche der Stadt gehörten, wurde ein Rückbauungsprozess der am Stadtrand gelegenen Wohnkomplexen eingeleitet. Die zurückgebauten Flächen sind heute bereits grüne Aufforstungsflächen. Nur noch ein paar einzelne Betonstrassen, Häuser und Einkaufszentren erinnern an die einst dagewesenen Wohnkomplexen.
Es scheint jedoch, dass die Stadt bis heute immer noch unter einem schlechten Image leidet, sei dies wegen einer Arbeitslosigkeit von 19% oder dem Ruf von Rechtsextremismus. Insgesamt versucht die Stadtplanerin im Schrumpfungsprozess jedoch auch etwas Positives zu sehen und meint: „Eine kleine Stadt kann auch schön sein. Man muss nicht immer schneller, grösser und besser sein.“ Mit einem Bürgerbeteiligungsprozess versucht die Stadtverwaltung nun vermehrt die Interessen der BürgerInnen in die Stadtentwicklung miteinzubeziehen. Auch wollen sie in Zukunft mit Stadtmarketing das schlechte Image aufbessern.
Am Abend im Dresdner Szenenquartier eingecheckt, gingen wir zum Abschluss des Tages im Restaurant „Planwirtschaft“ essen, wo bei der Bestellung zwar nicht alles nach Plan lief, jedoch die Diskussionsatmosphäre besonders fruchtbar war.
 Sybille Vogel und Mirjam Bühler

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